Gastbeitrag
Von Pilbeam
Ganz grundsätzlich finde ich es langweilig und identitär, wie sich in relevanten Teilen Antideutschlands auf jede noch so banale Äußerung Hengameh Yaghoobifarahs gestürzt wird. Zum neuesten Artikel, den Yaghoobifarah dieser Tage in der Missy veröffentlicht hat, habe ich dann aber doch ein paar kleine Anmerkungen. Darin wird die Beschäftigung mit Sternzeichen, Wahrsagerei und ähnlicher Esoterik verteidigt. (donotlink.it/eZ3L) Das wurde an anderer Stelle schon ausführlich kritisiert, hier zum Beispiel. Es gibt jedoch einen Punkt, der nicht angesprochen wurde, der aber wichtig ist, und den ich deshalb gerne hier ausführen möchte
Yaghoobifarah stellt es in in dem Artikel so dar, als sei die Beschäftigung mit „Spiritualität“ eine Widerstandsstrategie von POC, Queers und anderen marginalisierten Gruppen gegenüber weißen Männern, die mit Atheismus und Aufklärung gleichgesetzt werden. Der Gedanke, Aufklärung und Rationalität seien per se „weiß“ ist in erster Linie natürlich rassistisch und sachlich falsch. (Beispielsweise formulierte der äthiopische Philosoph Zera Yacob bereits hundert Jahre vor Kant und Rousseau einige der wichtigsten Ideen der Aufklärung und war in manchen Punkten, zum Beispiel in seinem Frauenbild, sogar progressiver als die beiden. Aber das nur am Rande. Wer mehr wissen will, dem lege ich diesen Artikel ans Herz.)
Viel wichtiger ist an dieser Stelle jedoch, dass diese Idee von Yaghoobifarah von so einigen Menschen geteilt wird, auch in vielen afrikanischen Regionen, so dass dann „Western Science“ und „African Science“ (also Hexerei) gegenübergestellt werden. Im Rahmen der studentischen Proteste in Südafrika gab es einzelne Leute, die tatsächlich gefordert haben, die „westlichen“ Naturwissenschaften aus dem Curriculum zu verbannen und sich stattdessen mit Hexerei zu beschäftigen. (Wenn jetzt irgendwer googelt und die Meldung findet, manche südafrikanischen Universitäten würden nun einen Bachelor in Hexerei anbieten: Das ist zum Glück ein Hoax, so weit ist es nicht gekommen.)
Diese Forderung könnte man als lustige Idee einiger Verrückter abtun, wäre da nicht die Tatsache, dass der Hexenaberglauben in sehr großen Teilen des subsaharischen Afrika verbreitet ist- und dass es Menschen gibt, die tatsächlich darunter leiden. Yaghoobifarah schreibt darüber, wie Spiritualität und der Glaube an Magie, POC dabei helfen würde, sich in der rassistischen Gesellschaft zurecht zu finden. Diejenigen POC (mindestens acht), die in Malawi von ihren Landsleuten vor einigen Monaten getötet wurden, weil man sie für Vampire hielt, scheinen Yaghoobifarah weniger am Herzen zu liegen. Genauso wenig wie die tausenden minderjährigen POC, die zum Beispiel im Kongo auf der Straße leben – ihre Familien haben sie verstoßen, weil sie sie der Hexerei bezichtigen. Und das sind nur zwei von vielen, vielen Beispielen – in den unterschiedlichsten Regionen Afrikas werden immer wieder Menschen getötet oder körperlich angegriffen, weil man sie für Hexen hält. Der christliche Glaube, importiert von den Kolonialherren, gießt zusätzlich Öl ins Feuer – zum Beispiel, wenn Pastoren der Pfingstbewegung in Nigeria Eltern dazu auffordern, die eigenen Kinder zu verstoßen, weil diese Hexen seien. Aber die gesamte Schuld für diese Zustände dem Westen anzulasten, wäre dann doch zu simplifiziert. Der Glaube an Hexerei ist kein kolonialer Import. Aber vielleicht weiß Yaghoobifarah auch von all dem nichts, weil man sich im Westen einfach kaum interessiert dafür, was so alles in Afrika passiert. (Das ist, im Übrigen, ganz fatal, aber das ist wiederum ein anderes Thema.)
Ich möchte mich hier nicht erheben über die „ach so primitiven“ Afrikaner*innen und ein Hohelied auf die Aufgeklärtheit und Rationalität des Westens anstimmen. Nicht nur weil das ein Schlag ins Gesicht jener Afrikaner*innen wäre, die gegen derartigen Aberglauben kämpfen; ehrlich gesagt ist mir dieses Eis auch viel zu dünn, angesichts der Tatsache, dass wir vielleicht bald eine Gesundheitsministerin bekommen, die an Homöopathie glaubt. An deutschen Universitäten wird Homöopathie gelehrt. In Deutschland sind Kinder gestorben, weil ihre Eltern sie nicht geimpft oder ihnen medizinische Behandlung verweigert haben und lieber irgendwelcher Scharlatanerei Glauben schenkten. Und im Gegensatz zu jenen deutschen Eltern haben viele Menschen in Afrika keine nennenswerte Schulbildung und keinen Zugang zu Quellen, aus denen sie sich informieren können (womit ich nicht entschuldigen will, dass Menschen angegriffen und getötet werden – für so etwas gibt es keine Entschuldigung. Nie.)
Das bedeutet allerdings nicht, dass man den Aberglauben in den Ländern des Globalen Südens nicht kritisieren sollte. Vielmehr bleibt als Konsequenz nur zu sagen, dass man derartige Schwurbeleien bekämpfen sollte, egal ob in Deutschland oder in anderen Teilen der Welt. Und natürlich: dass man nicht wie Yaghoobifarah den Aberglauben affirmieren, sondern vielmehr Verhältnisse schaffen muss, in denen es Menschen nicht mehr nötig haben, sich in den Aberglauben zu flüchten. Natürlich denke ich nicht, dass in Afrika jetzt mehr Hexen verfolgt werden, weil ein*e Missy-Redakteur*in einen Artikel geschrieben hat. Aber trotzdem sollten wir uns vor Augen halten, dass derartige Gedankengänge letztendlich fatale Konsequenzen haben können.
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