Ein Gastbeitrag von Ilsa Lund
„Wochenbett ist Wochenbett“ sagt die irritierte entfernte Bekannte, als ich meine zwei Wochen alte Tochter im Kinderwagen durch die Uni schiebe. „Naja, mir geht’s ja gut …“ murmele ich, nicht minder irritiert.
„Was machst du denn hier??!“ (empörter Unterton).
„Oh wow! Du bist jetzt bestimmt überglücklich!!“ (nahezu hysterische Begeisterung).
„Herzlichen Glückwunsch! Du wirst NIE wieder schlafen“ schreibt mir ein Elternteil eines einjährigen Kindes.
„Dein Leben wird ab jetzt völlig verändert sein!“ höre ich mehrfach (von Menschen mit und ohne Kindern).
„Ich kann es gar nicht glauben. Vor nicht allzu langer Zeit haben wir zusammen Nachtleben unsicher gemacht und nun bist du Mami!“.
Auch so ein Satz. Ein Satz mit doppeltem Boden.
Ein ungutes Gefühl beschleicht mich.
Das Internet ist ähnlich enthusiastisch:
„So glücklich sehen Mamas & ihre Babys 24 Stunden nach der Geburt aus“ und „20 Dinge, die jede Mama nach der Geburt erwarten“ ist der gängige Tenor der von Facebook geschalteten Werbeanzeigen.
Ich fühle mich nicht besser.
Ich überlege, ob es vielleicht am Schlafmangel liegt, dass ich so ein seltsames Gefühl in der Magengrube bekomme. Dann fällt mir wieder ein: Ich habe ja gar keinen Schlafmangel! Puh. Was ist es dann? Ich schaue meine Tochter ratlos an. Da sie erst zwei Wochen alt ist und den Blick noch nicht halten kann, schaut sie nicht zurück, sondern irgendwie ins Leere.
Ok, denke ich.
Das geht schon vorbei.
Aber es geht nicht vorbei.
Sätze wie diese höre und lese ich jeden Tag – von Verwandten und Bekannten mit oder ohne Kindern oder im Internet. Diese Emotionalität, die mir entgegenschlägt und die ganz offensichtlich von mir ebenfalls erwartet wird, überfordert mich heillos.
Ich denke viel darüber nach. Inzwischen ist meine Tochter drei Monate alt und meine anfängliche Ratlosigkeit über diese Situation hat sich in pure Aggression verwandelt. Ich bin empört! Wir schreiben das Jahr 2018 und das Bild, das unsere Gesellschaft von Menschen, nein, von Frauen* mit Kindern hat, scheint noch in den 1950er Jahren rumzulungern. Wahrscheinlich wurde es nicht gestillt als Neugeborenes und hat deswegen Entwicklungsschwierigkeiten.
Die gesellschaftlichen Übergriffigkeiten beginnen schon in der Schwangerschaft: Ich sitze sichtbar schwanger, mit Genuss in ein Salami-Brötchen beißend, in einem Café und eine Bekannte tritt ein. Sie sieht mich und ruft „Du isst Salami! Darfst du das denn überhaupt?!“. Laut. Sehr laut. Die Übergriffigkeiten gehen mit der Geburt weiter:
Meine Tochter ist einige Minuten auf der Welt und die Beleghebamme des Krankenhauses tatscht mir ohne zu fragen an den Brüsten herum und versucht die Kleine zum Trinken zu bewegen. In meiner Patientinnenakte ist vermerkt, dass ich wahrscheinlich nicht stillen möchte.
Meine Tochter ist zwei bis drei Wochen alt und ihr Vater spaziert mit ihr im Beutel allein durch die Gegend. Er wird wohlwollend begutachtet und dafür gelobt, dass er sich traut, jetzt schon mit der Kleinen alleine raus zu gehen. Dabei entgeht ihm nicht der missbilligende Unterton bei der Nachfrage, was denn mit der Mutter sei.
Meine Tochter ist etwa vier Wochen alt und ich bewege mich ohne sie durch die Uni. Ich werde höchst irritiert gefragt, wo ich denn mein Baby gelassen habe.
Geschichten wie diese kann ich zu Hauf erzählen und ich bin mit Sicherheit nicht der einzige Mensch, der ein Kind geboren hat und sich tagtäglich mit diesem gesellschaftlichen Klima konfrontiert sieht. Interessant dabei ist, dass sich diese allseitig formulierten wahnsinnig hilfreichen Ratschläge wie: „Wenn dein Kind schreit, hat es vielleicht Hunger“ immer nur an Frauen richten. Adressatinnen dieser verbalen Übergriffigkeiten sind grundsätzlich „Mamas“, „Mamis“ oder „Mütter“. Die Ratschläge gehen nie an die Eltern, geschweige denn an die Väter. An „eine Mutter fühlt das“, „als Mutter weiß frau einfach, was zu tun ist“letztere richten sich lediglich Texte mit Titeln wie „So können die Papas, die Mamis besser nach der Geburt unterstützen“. Zur Elternschaft eines Kindes gehören in den meisten Fällen zwei Personen (manchmal auch mehr, oft auch weniger), davon hat in sehr vielen Fällen eine Person das Baby ausgetragen und zur Welt gebracht. Unabhängig davon, dass diese Konstellation nicht zwingend so sein muss, sollte sie auch nicht zu automatischen Zuständigkeiten führen, geschweige denn dazu, dass die Person, die mutmaßlich das Kind geboren hat, auf eine antiquierte Mutterrolle reduziert wird.
Auch nachdem ein Mensch ein Kind zur Welt gebracht hat, ist diese Person – haltet euch fest – mehr als eine „Mami“. Sie ist Manager*in, Student*in, Langschläfer*in, Workaholic, Azubi*ne, Chef*in, Revolutionär*in, Kämpfer*in, Träumer*in, Spießer*in, Feminist*in und so unglaublich viel mehr. Vielleicht ist sie auch all das nicht, vielleicht ist sie auch keine „Mutter“. Niemand hat das Recht, ihr eine dieser Rollen aufzuzwingen und entsprechende Erwartungen an sie zu stellen.
Allein die stetige Trennung der Mutter- und Vaterrolle, deren gesellschaftliches Konstrukt vorgaukelt, dies seien zwei völlig verschiedene Pole der Elternschaft. Dadurch manifestieren wir unser Bild von einer Frau, die erst dann vollständig ist, wenn sie ein Kind zur Welt gebracht hat. Biologistische Erklärungsmuster à la „eine Mutter fühlt das“, „als Mutter weiß frau einfach, was zu tun ist“ und dergleichen führen vor allem dazu, dass die Stay-at-home-mum, die ihr Kind frühestens ab dem dritten Lebensjahr und dann auch nur vormittags in den Waldorf-Kindergarten bringt – allerdings nur, damit sie am Vormittag für den Elternabend Kuchen backen kann – genau das bleibt: Eine Mutter. Und das für immer. Und zwar in der einzig gesellschaftlich anerkannten Variante.
Bei all dem dürfen die Väter ab und an „mal helfen“ und sind sonst nur Beiwerk, um der „Mami“ das Leben nach der Geburt ein bisschen zu erleichtern. So richtig zum Einsatz kommen die Väter erst, wenn das auf dem Rücken liegende Käferbaby zum Kriechtier wird und ein fröhliches Toben möglich ist. Väter sind zum Quatsch machen und Spielen da – Mütter zum Kuscheln, Ordnung machen und Gedanken lesen. Diese Aufteilung schränkt nicht nur Frauen mit Kindern ungemein ein, auf gleiche Weise werden Männer* mit Kindern in ihrem Dasein beschnitten, indem sie auf eine Funktion der Rolle reduziert werden, die ihnen als „Papa“ zugeschrieben wird.
Die Geburt eines Kindes macht Eltern – im rechtlichen, sozialen und vielleicht auch emotionalen Sinne.
Die Gesellschaft macht „Mamis“ und „Papis“.
Und zu einer solchen lasse ich mich nicht machen.
*Frau meint in diesem Text alle Menschen, die sich selbst als Frau verstehen oder von ihrer Umwelt als Frau gelesen werden und denen entsprechend eine Rolle der Mutter gesellschaftlich zugedacht wird.
*Mann wird hier auf die gleiche Weise genutzt.
Es gibt selbstverständlich auch Menschen, die sich selbst keiner dieser Gender-Kategorien zuordnen können oder möchten. Oftmals erleben sie dennoch eine äußerliche, von der Gesellschaft vorgenommene Zuordnung und müssen sich entsprechend mit gleichen oder ähnlichen Ärgernissen herumschlagen.
Interessante Gedanken. Unsere Gesellschaft scheint auch mir noch so einigen Entwicklungsbedarf in Sachen Umgang mit Fremdheit und Übergriffigkeit zu haben. FrIch frage mich allerdings, ob die Autorin der Waldorf-stay-at-home-mum die gleiche Offenheit entgegenbringt wie sie für sich selber wünscht.