Das war die häufigste Frage, die mir während meiner Schwangerschaft gestellt wurde. „Hauptsache kein Hund”, antwortete ich manchmal im Scherz. Mir ist bewusst, dass die Frage nach den Genitalien eines ungeborenen Babys schlichter, freundlich gemeinter Smalltalk ist. Die Frage ist üblich. Anerzogen. Gefühlt unverfänglich. Sie kommt schnell über die Lippen. Sinnvoll ist sie trotzdem nicht. Alles, was uns diese Frage verrät ist: Hat der kleine Mensch einen Penis oder eine Vulvina. Das bringt uns dem Baby so viel näher wie die Frage, ob es graue oder braune Augen hat, nämlich gar nicht!
Tatsächlich habe ich selbst nach ein paar Wochen schon bereut, dass ich mir das Geschlecht hab verraten lassen. Warum eigentlich? Damals redete ich mir ein, dass wir durch das Wissen weniger Arbeit bei der Namenswahl hätten – nicht zwei Einigungen erzielen müssten. In Wahrheit hatten wir letztlich doch Namen für alle Fälle. Macht ja schließlich auch Spaß sich Namen zu überlegen, mir zumindest. Schlechtes Argument also. Es gibt in meinen Augen auch kein gutes. Das Wissen um das Geschlecht des Babys führt vor allem zu einem: Schubladen im Kopf werden geöffnet. Doch immerhin bemerkte ich das und entwickelte daraus meinen Anspruch, diese auszuräumen, kaputt zu schlagen und meinem Kind einen eigenen Schrank zu bauen, den es selbst befüllen darf. Und ja, Kleidung spielt dabei eine erste wichtige Rolle.
Unsere Familie hatte bald schon einen Verdacht, mit welchem Geschlecht unser Baby geboren werden würde – gefüttert wurde diese Vermutung von der Geschenkewunschliste, die wir allen zukommen ließen. Darauf zu finden: Lila Strumpfhose, ein roter Pünktchenschlafanzug, ein Mobile mit pinken Füchsen – ganz klar, das wird ein Mädchen. Falsch gedacht.
Unser Sohn wächst zweifarbig auf – er darf blau und rosa tragen. Mittlerweile ist er fünf Monate alt und ist in dieser Zeit noch nie (!) für einen Jungen gehalten worden. Fremde sprechen ihn grundsätzlich als Mädchen an. Und Fremde sprechen sehr oft Menschen mit Baby an. Fremde fassen übrigens auch ungefragt Babys an, aber das ist nochmal ein anderes Thema. Nicht dass es mich stören würde, dass mein Sohn immer für ein Mädchen gehalten wird. Mädchen sind toll! Ich finde es allerdings sehr bezeichnend, dass eine bunte Mütze für viele Menschen ein ausreichendes Indiz ist, um auf das Geschlecht eines Kindes schließen zu können. Was ist da los?
Ein Blick in die Welt der Kinderkleidung ist erschreckend: Farben und Muster stehen sich scheinbar unversöhnlich gegenüber. In der einen Ecke kämpfen Dinos, Autos, Löwen oder Feuerwehrmänner auf blaugrünem Grund, und von der anderen Ecke lächeln glitzernde Feen, Erdbeeren, Blümchen und Einhörner in strahlenden, bunten Farben – am liebsten rosa und lila – zurück. Bunt scheint Mädchen vorbehalten, Jungen hingegen die Farben, auf denen Dreck nicht so gut sichtbar ist. Das Phänomen rosa vs. blau ist allen bekannt, die schon mal eine Glückwunschkarte zur Geburt gekauft haben. Mit rosa und blau fängt die erste Trennung an, mit Fußball vs. Ballett geht sie weiter und führt irgendwann zu 21 Prozent Unterschied im Einkommen. Dass es eben nicht nur Farben sind, sondern so viel mehr vermittelt wird, wenn ich mich dafür entscheide mein Mädchen ausschließlich in pastellfarbene Elfenkleider zu stecken und meinen Sohn in schwarze Superheldenshirts, lässt sich zum Beispiel in „Die Rosa-Hellblau-Falle” nachlesen.
Wenn ich hier von männlich oder weiblich spreche, dann meine ich damit Ideen, die in unserer Gesellschaft davon existieren, was typisch Mädchen und typisch Junge ist. Ideen, keine Tatsachen. Ich halte diese Einteilung für anerzogenen Quatsch und würde die Grenze dazwischen gern verschwinden sehen – in diesem Text ziehe ich sie jedoch explizit und implizit, um meine Haltung dazu aufzeigen zu können.
Zum Glück erkennen schon viele Eltern, wie wichtig es ist, ihren Mädchen mehr anzubieten, als pinke Ponys und Prinzessinnen. Zum Glück gibt es mittlerweile Erzieher*innen, die Mädchen genauso zum Toben motivieren wie Jungen. Zum Glück lehren mittlerweile Menschen, die Jungen und Mädchen in MINT-Fächern gleichermaßen fördern. Es sind leider noch immer zu wenig, aber es gibt sie und sie wirken. Trotzdem ist das alles nicht genug. Schließlich kann es nicht allein darum gehen, als männlich konnotierte Konzepte an Mädchen bzw. Frauen weiterzugeben. In dem Moment, wo nur einseitig Gendernormen aufgebrochen werden, findet auch eine Abwertung des vermeintlich Gegensätzlichen statt.
Verkürzt und plakativ heißt das: Wenn wir unseren Mädchen beibringen, mit der Bohrmaschine umzugehen, unseren Jungen aber nicht, eine Nähmaschine zu bedienen, werten wir letzteres ab. Feministische Ideen sind darum erst zu Ende gedacht, wenn wir auch männliche Konzepte aufbrechen und um etliche Handlungsspielräume erweitern. Deswegen ist es unbedingt notwendig, dass wir unseren Blick schärfen für all die Momente, in denen wir unseren Söhnen Sachen, die als weiblich konnotiert sind, vorenthalten. Diese vermeintlich weiblichen Dinge sind nämlich genau so wertvoll! Unsere Entscheidungsmacht fängt schon lange an bevor wir überlegen, ob der Sohn seine Freizeit mit Hockey oder mit Tanzen verbringen soll. Sie beginnt ab dem ersten Tag und spiegelt sich zu Beginn besonders in der Kleidung wider
In den letzten Jahrzehnten ist in Bezug auf unser Frauenbild viel passiert und das drückt sich auch in der Kleidung aus. Von der Feinstrumpfhose, die überhaupt erst Mode werden konnte, weil Frauen sich nicht mehr unter langen Röcken versteckten, sondern sich die Freiheit nahmen, Bein zu zeigen, bis zum Hosenanzug, mit dessen Anblick die Politikerin Lenelotte von Bothmer noch im Jahr 1970 einen Eklat auslöste. Mode war schon immer mehr als eine Frage der Ästhetik. Mode ist politisch. Es ist darum nicht egal, was wir unseren Kindern anziehen. Und es hat darum auch schon Relevanz, wie wir unsere kleinen Babys kleiden. Es hat Einfluss auf uns und wie wir unser Kind sehen. Es hat Einfluss auf alle, die dem Kind begegnen, und deren Klischees wir bedienen oder in Frage stellen. Letztlich hat es aber vor allem Einfluss auf unser Kind, dem wir die ganze Welt öffnen und nicht nur die halbe.
Genau darum lade ich alle Eltern dazu ein: Schenkt euren Jungs rosa. Schenkt ihnen pinke Sonnenhüte, schenkt ihnen lila Delphin-Pullover, schenkt ihnen Schnuller mit Erdbeermotiven, schenkt ihnen bunte Blümchenhalstücher, schenkt ihnen rosa Kuscheltiere, schenkt ihnen glitzernde Abziehtattoos, schenkt ihnen Regenbogenbettwäsche, schenkt ihnen Prinzessinenshampoo. Ihr verliebt euch in eine violette Hose mit Einhörnern, die ihr sofort einpacken würdet, wenn ihr ein Mädchen hättet? Packt sie ein – für euren Jungen.
Ich will hier nicht dazu aufrufen, Jungs nur noch zuckerwattefarben zu kleiden, sondern ihnen alle Farben anzubieten, die euch gefallen und die ihr euren Mädchen auch anziehen würdet. Besonders in dem Alter, wo sie noch nicht selbst entscheiden können. Ihr Geschmack entwickelt sich schließlich erst und zwar aus dem, was ihnen bis dahin begegnet ist. Keine Bange, von der Familie gibt es sowieso genügend blaue und grüne Dinge zum Ausgleich geschenkt.
Abgesehen davon, macht es manchmal auch einfach Spaß für Irritationen zu sorgen. Denkt an den nervigen Onkel, dessen Weltbild ihr bei der nächsten Familienfeier komplett auf den Kopf stellt, wenn der Neffe eine magenta-farbene Glitzerhose mit Ponys trägt. Oder das verwirrte Gesicht der Nachbarin, wenn euer Sohn mit lackierten Fingernägeln im Sand buddelt. Enjoy!
Da stimme ich dir zu 🙂
Kinder sollten alle Farben tragen dürfen! Mein Kind trägt im Moment hauptsächlich hellblau, weil ich so gut wie alles gebraucht von lieben Menschen geschenkt bekommen habe, und wird dementsprechend oft für einen Jungen gehalten.
Interessanterweise sind bei den Klamotten aus den 70er und 80er Jahren noch viel mehr Farben vertreten (zum Beispiel gelb und grün und leuchtend rot) als bei den neueren bzw. was es zu kaufen gibt (entweder rosa-weiß gestreift oder hellblau-weiß gestreift, als neutrale Option noch grau-weiß gestreift…).
Achso, das Kind ist höchstwahrscheinlich ein Mädchen.
Liebe Grüße!